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The Wonder Kid
Zum 80. Geburtstag Oskar Werners
von Marc Hairapetian (Quelle: Filmdienst 23/2002)
"Man kann schwelgen in Oskar Werners Kunst, in seiner selbstzerstörerischen Begabung,aber ich fürchte, man muß verstummen vor seiner Schönheit und seiner Stimme. Sein berühmtes Lächeln ist das eine, seine unendlich traurigen Augen das andere, was man festhalten möchte im Gedächntnis. Sie schimmerten so, als wären sie ständig zum Weinen bereit, nur klug genug, es nicht immer zu tun. Man hätte ihn so gern umarmt und gesagt: Komm halt dich fest, es wird schon wieder gut, und er hätte es sicher nicht gewollt." (Susanne Schneider)Er ging immer vollkommen in seiner Kunst auf, denn seine Lebenskerze brannte gleichzeitig an beiden Enden. Zu Hause zwischen Tag und Traum, konnte sein Antlitz in frühen Jahren blitzschnell von dem eines Märchenprinzen zum schlimmsten Gassenjungen wechseln. Bis zu seinem tragischen Ende steckte beides in ihm: die reine Hölderlin-Seele und der Dämon der Besessenheit. Über den österreichischen Schauspieler Oskar Werner (1922-1984), dessen Credo "Zwei Luxusartikel habe ich mir stets geleistet: Zeit und Charakter" lautete, kann man auf verschiedenste Weise schreiben; ohne Emotionen aber ist es sicherlich nicht möglich, aber auch nicht ohne große Worte: Ihm waren der "Adel des Geistes" und die "Qualität des Gefühls" wichtig. Sein Charisma ließ ihn, der aus einfachsten Verhältnissen stammte, in den 50er- und 60er-Jahren zu einer ungewöhnlichen Weltkarriere starten, die ihn vom Wiener Burgtheater bis nach Hollywood führte. Nicht nur für Marlon Brando und Spencer Tracy war er der größte Schauspieler überhaupt. Nach seinem Tod verehren ihn noch heute seine Anhänger mit einer Selbstverständlichkeit, die sonst nur Popstars zuteil wird. Werner faszinierte das Publikum mit der ihm eigenen Mischung aus Sensibilität, Charme und Entschlossenheit sowie dem unvergleichlichen Klang seiner Stimme, die seine Rilke-, Heine- und Wichert-Lesungen zu literarischen Offenbarungen machte. Er trug Gedichte nicht einfach vor, er gestaltete und verwirklichte sie. Es ging ihm um die Wahrhaftigkeit des Wortes. Seinen Wiener Akzent konnte er dabei nicht ganz verbergen, aber gerade das machte den Reiz aus. Während er im Theater meist in klassischen Rollen brillierte, verkörperte er im Film das, was später zum Idol einer neuen Schauspielergeneration werden sollte: Er stellte keine harten, beherrschenden Helden, sondern empfindsame Männer dar.
Oskar Werners Aufstieg hatte etwas Kometenhaftes: Mit 18 Jahren debütierte er als Guiliano Mocenigo in einem Stück mit dem bezeichnenden Titel "Heroische Leidenschaften"; mit 25 folgte das drei Generationen und zwei Weltkriege umspannende Kino-Epos "Der Engel mit der Posaune", bei dem sich Österreichs Schauspielerelite von Paula Wessely und Attila Hörbiger bis zu Maria Schell und Curd Jürgens ein Stelldichein gab. Der internationaler Durchbruch gelang dem überzeugten Pazifisten 1951 an der Seite von Hildegard Knef, O.E. Hasse und Richard Basehart als idealistischem Kriegsgefangenen Karl "Happy" Maurer in Anatol Litvaks Spionagedrama "Entscheidung vor Morgengrauen". Nachdem das Otto-Preminger-Projekt 'Der Mann, der Hitler hinterging' nicht zustandekam zerriß Werner vor den Augen der Studiobosse seinen Siebenjahresvertrag mit Twentieth Century Fox, um fortan wieder Theater zu spielen. Als Hamlet feierte er 1953 in Frankfurt und 1956 in Wien legendäre Triumphe. "Er spielt den Hamlet nicht, er ist Hamlet", schrieb damals ein Kritiker. Von seinen Theaterauftritten gibt es leider nur wenige vollständige Dokumentationen; die Salzburger "Hamlet"-Inszenierung aus dem Jahr 1970, bei der Werner die Titelrolle spielte und Regie führte, sollte auf Zelluloid festgehalten werden, doch es kam zu Streitereien mit dem ORF; die Unflexibilität des Senders war auch Schuld daran, dass Anfang der 80er-Jahre Werners ehrgeizige "Faust"- und "Caesar"- Projekte nicht realisiert werden konnten. Drei Jahrzehnte zuvor war eine moderne "Don Carlos"-Adaption aus ähnlichen Gründen gescheitert.
Kaleidoskopisch
Zum Glück kann man Oskar Werner heute noch in seinen Filmen bewundern: Unvergessen ist er als Ritterkreuzträger Wüst in G.W. Pabsts "Der letzte Akt". Seine Todessequenz im Führerbunker soll sich Marlon Brando 25 Mal hintereinander vorführen haben lassen. Weitere Sternstunden waren sein schüchterner Student in Max Ophüls "Lola Montez", der Truffaut veranlasste, ihm die Rolle des introvertierten Schriftstellers in "Jules und Jim" (1961) anzubieten. Es folgten die mit dem Golden Globe prämierte Darstellung des fanatischen Kommunisten Fiedler in Martin Ritts "Der Spion, der aus der Kälte kam" und der erst Bücher verbrennende, dann aber bewahrende Feuerwehrmann Montag in Truffauts Science- Fiction-Klassiker "Fahrenheit 451". Ob als jungenhaft wirkender Dirigent mit alter Seele in Kevin Billingtons "Zwischenspiel" oder als progressiver, vom Vatikan zum Schweigen verurteilter Geistlicher David Telemond in Michael Andersons "In den Schuhen des Fischers" – Werner nahm nur Rollen an, mit denen er sich auch identifizieren konnte. Der Filmpart, der seinem Charakter am nächsten kam, war der des Bordarztes Dr. Wilhelm Schumann in Stanley Kramers Literaturadaption "Das Narrenschiff". Der Film, in dem unter anderen Vivian Leigh, Simone Signoret, Lee Marvin und Heinz Rühmann agieren, ist ein in seiner Detailfülle frappantes Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen vor dem Wetterleuchten des Zweiten Weltkriegs. Werners in Eigenregie gespielter Herztod gehört zu den ergreifendsten Momenten der Filmgeschichte. "Oft hat man mich gefragt, wo ich den Herzanfall studiert habe", erzählte er in einem seiner seltenen Interviews. "Ich habe ihn nicht studiert. Ich habe keinen Arzt konsultiert. So habe ich gefühlt, müsste es sein. Das ist dann innere Wahrheit." Werner erhielt für diesen Part zahlreiche Preise; lediglich der "Oscar", für den er nominiert war, blieb ihm verwehrt.
Es gibt wahrscheinlich kaum einen anderen Schauspieler, der so viele lukrative Filmangebote (die Zahl von 300 Drehbüchern ist verbürgt) als "Verrat am guten Geschmack" abgelehnt hat, darunter auch Wises "Sound of Music", Antonionis "Blow Up", Viscontis "Ludwig II." und Syberbergs "Karl May". Obwohl er Spitzengagen fordern konnte, hatte Geld keine Macht über ihn. Trotz dreifacher Gagenerhöhung weigerte er sich etwa, für seinen Freund Stanley Kramer einen sympathischen Nazi in "Das Geheimnis von Santa Vittoria" zu spielen. Nachdem er die für sein Empfinden zu gewalttätige Dystopie "Uhrwerk Orange" gesehen hatte, lehnte er es ab, in "Barry Lyndon" mitzuspielen. Zuvor war allerdings ein anderes Kubrick-Projekt nicht zustande gekommen, in dem er gerne die Hauptrolle übernommen hätte: "Napoleon". "Oskar Werner Bonaparte" trug sich stets auch mit vielen eigenen Filmplänen, die meistens aus Finanzierungsgründen scheiterten, beispielsweise Dürrenmatts "Die Physiker" mit Peter Ustinov und Danny Kaye oder das von ihm verfasste Drehbuch "Der andere Narr". Immer wieder verkrachte sich der unbeugsame Perfektionist ("Anpassungsfähigkeit ist eine Eigenschaft, die ich nicht anstrebe") mit Regisseuren, Produzenten und Intendanten. Die Auseinandersetzung mit dem von wacher Intelligenz geleiteten Schauspieler-Genius hielt Truffaut seinerzeit in einem Drehtagebuch für die Cahiers fest. Die Legende, dass die beiden Stur- und Charakterköpfe nach diesem Streit bis zu ihrem Tod kein Wort mehr miteinander gesprochen hätten, ist inzwischen revidiert: Werners letzte Lebensgefährtin Antje Weisgerber berichtete, dass sich "O. W." und Truffaut in der 70er-Jahren ausgesöhnt hätten.
Einsamer Egozentriker
Wie seine berufliche Laufbahn verlief auch sein privates Leben turbulent: Der Mann, der mit seinem – auch in zunehmenden Alter – jugendlichen Antlitz die Frauen magisch anzog, war zwei Mal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit Elisabeth Kallina entstammte die Tochter Eleonore, aus der Liason mit dem Model Diane Anderson der Sohn Felix Florian, der in den USA als Independent-Produzent fungiert. Antje Weisgerber, mit der Werner von 1970 – 79 in Liechtenstein und Paris zusammenlebte, mußte ihre eigene Karriere für den "Teixl" (Werner über Werner) völlig zurückstellen. An seiner zunehmenden Alkoholsucht und seiner manischen Depressivität zerbrach diese Liebe: "Die Zeit mit ihm war so verrückt und wunderschön, aber im Grunde nicht zu leben", erinnert sich Antje Weisgerber. "Er war der größte Egozentriker, den ich kannte. Wohlgemerkt: Egozentriker, nicht Egoist. Er hat das ganze Weltleiden auf sich bezogen."
In den letzten Lebensjahren war Oskar Werner sehr einsam. Auch seine Freunde konnten ihm nicht helfen. Er zog sich immer mehr in die innere Emigration zurück. Sein letzter Filmauftritt war die Rolle des resignierten Professors Kreisler in Stuart Rosenbergs "Die Reise der Verdammten" (1976). Einer von Werners häufigsten Aussprüchen, "Mein Theater ist tot", bezog sich auch darauf, dass seine Vorbilder Werner Krauß, Spencer Tracy und Charles Laughton längst nicht mehr lebten. Werners Tod kam – wie in einer seiner Rollen – als Tragödie vorprogrammiert, aber dennoch unerwartet: Am 23. Oktober 1984 erlag er – kurz vor einer Rezitationstour durch die Bundesrepublik – in Marburg einem Herzinfakt. Nur eine Woche vorher hatte er mit einer Lesung im ausverkauften Salzburger Mozarteum "standing ovations" erhalten. Die Beerdigung fand im engsten Kreis in seiner Wahlheimat Liechtenstein statt. So fand ein ewig Suchender seine letzte Ruhe, der in gesunder Verfassung mit seinem leidenschaftlichen Berufsethos und seiner unbestechlichen Wahrheitsliebe der heutigen Film- und Theaterwelt noch sehr viel hätte geben können.
HinweisDie Zitate von Antje Weisgerber sind Gesprächen mit dem Verfasser entnommen. Er ist Mitautor der soeben erschienenen Werkanalyse "Oskar Werner – Das Filmbuch" (Hrsg. von Raimund Fritz, Filmarchiv Austria, Wien 2002). Ende 2003 erscheint seine eigene Oskar-Werner-Biografie "Genie zwischen Tag und Traum".
Hinweis Anläßlich des 80. Geburtstags von Oskar Werner am 13. November finden in seiner Geburtsstadt Wien zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt. Das Österreichische Theatermuseum widmet ihm unter dem Titel "Welch einen sonderbaren Traum träumt’ ich..." eine Ausstellung, die anhand von Fotos, Kostümen, Tonaufnahmen und Briefwechseln einen chronologischen Bogen spannt. Im Erdgeschoß des Hauses fängt sich die Erinnerung an ruhmreiche Theaterabende, allen voran "Hamlet" und "Don Carlos". Werners ungeheuer nuancenreiches Timbre erklingt im Halbgeschoß, wo lange unter Verschluss gehaltene Aufnahmen wie Shakespeares "Heinrich V." oder Anouilhs "Becket oder Die Ehre Gottes" zu hören sind. Im Wiener Metro Kino läuft bis Anfang Dezember noch eine umfangreiche Werkschau, zusammngestellt vom Filmarchiv Austria. Neben den Klassikern ist vor allem die Originalfassung von "The Wonder Kid" ("Entführung ins Glück") von Bedeutung: In der lange Zeit unauffindbaren britischen Produktion aus dem Jahr 1950 verkörpert Oskar Werner einen jungen Taxichauffeur, der in eine Kindesentführung verstrickt wird. Unverständlich bleibt allerdings, dass zwar Max Ophüls’ bahnbrechende Hörspiel-Adaption von Goethes "Novelle" (1952) im Kinosaal zu Gehör kommt, die beiden Fernseharbeiten Werners aber außen vor bleiben: weder die Columbo-Folge "Playback" (1973) noch die SWF-Produktion "Ein gewisser Judas" (1959), in der Werner unter dem Pseudonym Erasmus Nothnagl nicht nur Regie führte, sondern auch die Titelfigur als Jesus- Verräter aus intellektueller Verzweiflung interpretierte. Während das Interview- Porträt "Ansichten eines Schauspielers" im Foyer als Endlosband läuft, hat sich das Filmarchiv Austria gegen eine Aufführung des Interview-Films "Ich durfte am Tisch der Götter sitzen" entschieden, in dem Oskar Werner bereits vom Alkoholkonsum gezeichnet war.