Der empfindsame Mann
Heute würde er 75 Jahre alt: Erinnerungen an den Schauspieler Oskar Werner

von Marc Hairapetian

"Er spielt den Hamlet nicht, er ist Hamlet!" Selten waren sich Publikum und Kritiker so einig. Seine Sterbeszene als gegen Hitler revoltierender Ritterkreuzträger in G. W. Papsts Spielfilm "Der letzte Akt" ließ sich Marlon Brando 25mal hintereinander vorführen. Über den am 23. Oktober 1984 verstorbenen Wiener Akteur Oskar Werner, der heute seinen 75. Geburtstag feiern würde, kann man auf verschiedenste Art und Weise schreiben - ohne Emotionen ist es sicherlich nicht möglich.

Es bedarf schon großer Worte, um den Künstler und Menschen zu porträtieren: Spencer Tracy bezeichnete ihn als den "besten Schauspieler überhaupt". Werners charismatische Ausstrahlung ließ ihn in den 50er und 60er Jahren zu einer ungewöhnlichen Weltkarriere starten, die ihn vom Burgtheater nach Hollywood führte. Stets faszinierte er mit der ihm zu eigenen Mischung aus Sensibilität, Charme und Entschlossenheit sowie seiner unverwechselbar nuancenreichen Sprachmelodik. Dabei hatte Werner (Geburtsname: Oskar Josef Bschließmayer) insgesamt nur sieben Stunden Schauspielunterricht.

18jährig wurde er von Intendant Lothar Müthel an die "Burg" geholt. Ab Ende 1941 mußte der überzeugte Antimilitarist, der sich später mit seinen Gedenklesungen für die KZ-Opfer auch viele Freunde in Israel machte, aktiven Wehrdienst leisten, war aber die meiste Zeit für die Bühne freigestellt. Durch einen Bombenangriff wurde er drei Tage lebendig unter Trümmern begraben, was auch als eine Ursache seiner manischen Depressivität gelten mag. Gerade diese innere Zerrissenheit ließ ihn immer wieder darstellerische Glanzleistungen vollbringen.
Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur machte Werner durch seine gebrochenen Jünglingsgestalten des klassischen und modernen Faches Furore. Ihm waren der Adel des Geistes und die Qualität des Gefühls wichtig. Neben dem "Hamlet" (1953 an den Städtischen Bühnen Frankfurt/Main und 1956 in der Wiener Josefstadt) feierte er vor allem als "Don Carlos" an der Seite seines Vorbilds Werner Krauß bei der Wiedereröffnung des Burgtheaters am Ring 1955 einen wahren Triumph.

Im internationalen Film verkörperte der "Unbestechliche", der über 300 Rollen als "Verrat am guten Geschmack" ablehnte und 1951 vor Studioboß Dariel S. Zanuck einen Sieben-Jahres-Vertrag mit der 20th Century Fox zerriß, keine harten, beherrschenden Helden, sondern empfindsame Männer: Vom ehrbaren Verräter in Anatol Litvaks erschütterndem Spionagedrama "Entscheidung vorm Morgengrauen (1951) mit Hildegard Knef bis zum introvertierten Schriftsteller in FrancÛois Truffauts Kultfilm "Jules und Jim" (1961) mit Jeanne Moreau.
Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er als Schiffsarzt in Stanley Kramers Literaturverfilmung "Das Narrenschiff" (1965). Dafür erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter den Golden Globe, den New Yorker Kritikerpreis und eine Oscar-Nominierung. In den nächsten Jahren sollten weitere Leinwand-Klassiker wie "Fahrenheit 451" oder "Der Spion, der aus der Kälte kam" folgen.

Auch privat verlief Oskar Werners Leben turbulent: Zweimal war er verheiratet. Werners letzte Lebensgefährtin, die Schauspielerin Antje Weisgerber, mußte zwischen 1970 und 1979 ihren eigenen Beruf völlig für ihn zurückstellen.
In den 70er Jahren stand das eigenwillige Genie (Lebensmotto: "Zwei Luxusartikel habe ich mir immer geleistet - Zeit und Charakter") nur selten vor laufenden Kameras: So für eine "Columbo"-Folge und die Flüchtlingstragödie "Reise der Verdammten". Am Ende zerstörte sich der sensible Gratwanderer zwischen Tag und Traum durch immensen Alkoholkonsum selbst.

Postum wird dem Mimen, dessen auf CDs wiederveröffentliche Rilke-, Heine- und Wiechertlesungen erneut großen Anklang finden, jetzt eine besondere Ehrung zuteil: Die Republik Österreich hat eine Oskar Werner-Sonderbriefmarke herausgebracht. Aus Anlaß seines 75. Geburtstages strahlt der TV-Sender 3-sat heute um 23 Uhr sein letztes Interview aus: "Ich durfte am Tisch der Götter sitzen".

13.11.1997